Reiseberichte

Ruhrgebiet

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Kultur statt Kohle

Text und Fotos: Martin Häussermann

Touristen sollen nun Kohle bringen in eine Region, die bisher selbst Kohle gefördert hat. Im Ruhrgebiet ist der Strukturwandel vollzogen. Alte Zechen und Stahlwerke mutieren zu Monumenten der Montanindustrie. Wir waren in einem Reisemobil Made in Duisburg der Industriekultur auf der Spur.

Glück auf, Glück auf! Der Steiger kommt, und er hat sein helles Licht bei der Nacht, und er hat sein helles Licht bei der Nacht, schon angezünd‘t, schon angezünd‘t. Schon angezünd‘t! Das wirft seinen Schein, und damit so fahren wir bei der Nacht, und damit so fahren wir bei der Nacht, ins Bergwerk ein, ins Bergwerk ein.

Das Steigerlied wird seit Mitte des 19. Jahrhunderts im Ruhrgebiet gesungen. Auch heute noch. Der Knappenchor singt die Revier-Hymne bei der Eröffnung des Weihnachtsmarkts in Bochum, Herbert Grönemeyer bei seinen Konzerten im Ruhrgebiet. Obwohl im Pott längst keiner mehr seine Kohle mit Kohle verdient, wird die Bergbautradition hochgehalten. Hier vergisst keiner, worauf das Ruhrgebiet aufgebaut wurde.

Auf Kohle geboren

„Auch wir sind auf Kohle geboren“, sagt Alexandra Hehn, die gemeinsam mit ihrer Schwester Priska Hehn-Honeiker den kleinen, feinen Reisemobilhersteller Hehn Mobil in Duisburg-Rheinhausen leitet. Obwohl Hehn Mobil lange vor der großen Krise der deutschen Montanindustrie gegründet wurde, steht der Betrieb doch für den Strukturwandel im Ruhrgebiet: Dort, wo einige hundert Meter tiefer einst Kohle gewonnen wurde, kümmert man sich heute um die Freizeitbedürfnisse anderer Menschen.

Deshalb empfehlen die beiden Hehn-Schwestern allen Reisemobilisten, nicht nur ihren Kunden, eine Tour de Ruhr. „Für viele ist das Ruhrgebiet nur eine staubige, dreckige Industriebrache“, nennt Alexandra Hehn ein weit verbreitetes Vorurteil, „Aber das stimmt lange nicht mehr. Unsere Heimat ist eine Reise wert.“ Wir machen die Probe aufs Exempel und steuern im Hehn-Alkovenmobil die Attraktionen an, die uns die Reisemobil-begeisterten und -bauenden Schwestern ans Herz legen. Die liegen alle, mehr oder weniger weit entfernt, an der A 42, dem so genannten „Emscher-Schnellweg“. Erste Station ist der „Landschaftspark Nord“.

Landschaftspark Nord

Der Duisburger Norden wird Mitte des 19. Jahrhunderts, in der Hochindustrialisierungsphase, von der Montanindustrie aus seiner ländlichen Idylle gerissen. Der Industrielle August Thyssen lässt von 1901 an dort fünf Hochöfen bauen, um mit lokaler Kohle Eisenerz zu verhütten. Bis 1985 wird Eisen produziert, als Vorprodukt für Thyssens Stahlwerke. Dann macht, als Reaktion auf das Überangebot am europäischen Stahlmarkt, das Werk dicht. Übrig bleiben viele Arbeitslose und eine Industriebrache von 200 Hektar. Im mehrfachen Sinn eine Herausforderung für alle Verantwortlichen. Entscheidend aber ist der Einsatz engagierter Duisburger Bürger, die den drohenden Abriss der Anlage stoppen.

Von 1990 an entsteht hier ein Park, der wild gewachsene Vegetation und alte Industriebauten eindrucksvoll zusammenfügt. Der mit 20.000 Kubikmeter Wasser gefüllte Gasometer wird von Tauchern genutzt, die alten Industriehallen bieten Kunstausstellungen und Konzerten Platz. Jogger und Mütter mit Kinderwagen sind hier ebenso unterwegs wie Touristen, die sich für die Historie des einst größten Industriegebiets Europas interessieren. Den Weg weist ihnen die „Route der Industriekultur“, die im Mai 1999 offiziell eröffnet wurde. Spät, aber nicht zu spät erkennt man im Ruhrgebiet das Erbe des Industriezeitalters als modernen Standortfaktor neben dem aufstrebenden Dienstleistungsgewerbe.

19 Ankerpunkte

Kultur und Tourismus statt Kohle und Stahl. Insgesamt 19 so genannter Ankerpunkte bilden das Gitternetz der Industriekultur. Ein zentraler Punkt in diesem Gitternetz ist die Zeche Zollverein in Essen, die auch auf der Liste der Hehn‘schen Empfehlungen ganz oben steht. Zollverein wird auch gern der „Eiffelturm des Ruhrgebiets“ genannt. Hinsichtlich der Höhe und der internationalen Bekanntheit des Gebäudekomplexes stimmt das, in der Bedeutung für die Region erscheint es eher untertrieben.

Schließlich ist die Zeche der Nukleus des Ruhrgebiets. Hier kauft 1847 Franz Haniel 13 zusammenhängende Grubenfelder. Er nennt sie „Zollverein“ in Anlehnung an den Deutschen Zollverein, dem Zusammenschluss von 14 deutschen Staaten zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum (1834). Zollverein wächst rasant, die Bevölkerung ebenso.Neue Arbeiter, viele aus Polen und anderen osteuropäischen Staaten, machen aus der ländlichen Region die Großstadt Essen. 1932 geht der Schacht XII in Betrieb, Zollverein wird eine Zeche der Superlative, die modernste, größte und schönste. Ein Monument, heute das Wahrzeichen einer Region. Rund 12.000 Tonnen Kohle entreißen die Kumpel täglich der Erde, das vierfache einer damaligen Durchschnittszeche. Aber auch weitere Rationalisierungsmaßnahmen zögern das Ende der Zeche nur hinaus. 1986 ist Schluss auf Zollverein, die letzte Schicht fährt ein, danach ist Schicht im Schacht.

Wäre es nach der Ruhrkohle AG gegangen, seit 1969 Besitzerin der Zeche, wäre das Gelände heute eine Schuttdeponie. Doch ein Ministerbeschluss stellt Zollverein unter Denkmalschutz. Eine Stiftung wird gegründet mit dem Credo: „Erhalt durch Umnutzung.“ So erfährt der Besucher hier nicht nur viel über Industriegeschichte. Eine Designausstellung präsentiert preisgekrönte Produkte des „Red-Dot“-Wettbewerbs und eine Hochschule zieht ein. “Diese Zeche, diese Stadt und das Ruhrgebiet führen vor, was anderen Teilen Deutschlands und Europas noch bevorsteht“, lobte einst Verkehrs- und Bauminister Wolfgang Tiefensee.

Der Mann hatte Recht – und wir müssen weiter. Auf unserer Liste stehen noch der Tetraeder und die Skihalle in Bottrop, der Gasometer in Oberhausen, der Besuch mindestens eines Fußballspiels… Ein Wochenende ist definitiv zu kurz, um das Ruhrgebiet auch nur ansatzweise zu erkunden. Wir kommen wieder. Glück auf!