Reiseberichte

Niedersachsen Teil 3

Niedersachsen Teil 3

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Würmer, Krabben und Laternen

Text und Fotos: Ralph Binder

Wasser ist das prägende Element in Ostfriesland: Kanäle mit Klappbrücken, Deiche mit weißen Schafen vor blauem Himmel, kleine Fischerhäfen, lange Sandstrände, sieben Ostfriesische Inseln und Ebbe und Flut. Bei Ebbe zeigt sich eine weitere ostfriesische Landschaft: das Watt. Wattführungen gehören zu Ostfriesland wie Krabben pulen und Tee trinken. Auf den ersten Blick sieht das Watt aus wie eine endlose monochrome Schlicklandschaft. Erst ein erfahrener Führer macht daraus eine unterhaltsame Wanderung. Heiko Campen ist ein solcher Wattführer. In Norddeich gräbt er für seine Gäste nach dem Wattwurm und zeigt, wie das Wasser durch die Prile abfließt. Der betreute Wattwanderer lernt, dass Sandwatt fest ist, Mischwatt weich und Schlickwatt gefährlich. Die normale Wanderung dauert 1,5 Stunden, wer jedoch ausreichend Zeit mitbringt, kann sogar die Insel Juist oder Norderney erwandern.

Gleich hinterm Deich

Ein guter Ausgangspunkt für solche Exkursionen ist der Campingplatz Nordseecamp in Norden-Norddeich. Der Platz liegt gleich hinterm Deich auf dem ehemaligen Gelände von Norddeich Radio, einem starken Funksender zur Kommunikation in der Schifffahrt. Die Sendeleistung ging ehedem bis zum Horn von Afrika. Zu Weihnachten übermittelte der Sender die Grüße der Daheimgebliebenen an die Seefahrer. Die alten Gebäude der Radiostation sind denkmalgeschützt und bieten heute ausreichend Platz für Restaurant, Sanitäranlagen und verschiedene Wirtschaftsräume. Camping Norddeich ist zudem einer der wenigen Plätze in der Region, auf dem Hunde erlaubt sind. Hundebesitzer haben hier ein eigenes Areal und dürfen mit ihrem Vierbeiner sogar einen eigenen Deichabschnitt benutzen. Ansonsten sind Hunde aufgrund der Schafhaltung auf dem Deich verboten.

Wer Ostfriesland besucht, sollte es nicht wieder verlassen, ohne eine traditionelle Teezeremonie genossen zu haben. Die Teetied (Teezeit) ist wichtiger Bestandteil ostfriesischer Geselligkeit. In vielen Teestuben können Gäste selbst erleben, wie die Teetied genüsslich gepflegt wird – am besten mit einem leckeren Stück Krintstuut (Rosinenbrot) dazu. Der Kluntje-Kandis knistert leise, wenn der Tee in die kleine Porzellantasse fließt. „Drei Tassen Tee sind Ostfriesenrecht“, heißt es. Teetied ist Zeit zum Klönen, während die Teekanne auf dem Stövchen von dem flackernden Teelicht warmgehalten wird. Ostfriesentee wird mit Sahne getrunken. Dabei wird die Sahne mit einem Sahnelöffel am Rand der Tasse abgesetzt. Die kalte Sahne läuft im heißen Tee nach unten und steigt wie eine Wolke auf. Umgerührt wird der Tee nicht. Er wird „dreistöckig“ getrunken. Der Teetrinker oder die Teetrinkerin schmeckt also zunächst die Milde der Sahne, dann die Herbheit des heißen Tees und schließlich die Süße des Kandis. Der Ostfriesentee ist eine Mischung aus einer Vielzahl unterschiedlicher Teesorten, wobei die Assams die dominierende Rolle spielen. Ferner werden - je nach Teemarke - Java-, Ceylon-, Sumatra- und Darjeelingsorten zugemischt. Bei einer echten ostfriesischen Teemischung werden in der Regel weit über zehn unterschiedliche Teesorten gemischt, um möglichst immer den markentypischen Geschmack beizubehalten.

Es gibt nur wenige Flecken Erde, wo so viel Tee getrunken wird wie in Ostfriesland. Rund ein Viertel des in der Bundesrepublik Deutschland konsumierten Tees geht hierher. Dabei war der Tee durchaus nicht immer populär, wie der Gast im Ostfriesischen Teemuseum in Norden erfährt. Mitte des 19. Jahrhunderts hieß es hierzulande: „Der häufige Genuß des Thees macht den Frauenzimmern eine schlaffe Haut und gibt ihnen ein blasses Aussehen. Man sah starke und gesunde Männer, denen etliche Tassen Thee, nüchtern getrunken, Blödigkeit, Gähnen und Übelkeit verursachten.“ Inzwischen hat sich das Bild der Verträglichkeit von Tee deutlich verbessert.

Alles im Lot aufm Boot

Die zweite kulinarische Besonderheit neben dem Tee sind in Ostfriesland wohl die Krabben. Die werden von den Krabbenfischern in den zahlreichen kleinen Fischerhäfen gefangen. Eine der größten Krabbenkutterflotten ist in Neuharlingersiel zu finden. Die Kutter nehmen häufig Gäste mit auf ihre Fangfahrten. Bereits im Jahre 1693 wurde Neuharlingersiel urkundlich erwähnt. Auch heute noch prägen zahlreiche Fisch- und Krabbenkutter die geschäftige Atmosphäre am kleinen Hafen. Malerische Fischerhäuser gruppieren sich am Wasser, Seefische werden vor Ort traditionell geräuchert, frische Krabben direkt vom Kutter feilgeboten und sonntags geben die heimatlichen Shanty-Chöre Klassiker von der Waterkant zum Besten. Der breite Sand- und Grünstrand lockt im Sommer zum Sonnenbaden im Strandkorb. Das Wort Siel bezeichnet übrigens einen verschließbaren Gewässerdurchgang in einem Deich. Daher haben viele ostfriesische Fischerhäfen diesen Namenszusatz. Mitten im Fischerort Neuharlingersiel liegt eine weitere Flotte vor Anker: 90 Flaschen von 0,7 bis 60 Liter mit originalgetreuen Modellen vom Einbaum bis zum Atom-U-Boot finden sich im Buddelschiffmuseum. Highlights sind u.a. das Flaggschiff Admiral Nelsons, „Victory”, und der Untergang der „Titanic”. Zahlreiche Bauzeichnungen, seltene Fotos und Kapitänsbilder ergänzen die Ausstellung. In Neuhralingersiel verlassen wir die schöne Nordseeküste und steuern unser Wohnmobil wieder ins Landesinnere, der Stadt des Westfälischen Friedens entgegen.

Auf der Mauer, auf der Lauer…

Fachwerk dominiert die Gassen der Altstadt von Osnabrück: Rustikal in der Marienstraße, die bis 1882 schlicht Schweinestraße hieß, größer und reich geschnitzter in der Bierstraße und besonders prachtvoll mit dreifach vorkragendem Fachwerk und kunstvollem Schnitzwerk das im ausgehenden 16. Jahrhundert errichtete Haus in der Bierstraße 24, heute Hotel Walhalla. Erarbeiten muss sich der Besucher den Ausblick von der Marienkirche gegenüber des Rathauses. 190 Stufen sind es bis zur Aussichtsplattform. Der Blick über die Stadt ist die Mühe aber allemal wert. Eine besondere Art Osnabrück zu erkunden ist die Nachtwächterführung. Im schwachen Licht der Handlaternen erhalten die Reste der Stadtmauer eine besonders eindrucksvolle Atmosphäre. Beeindruckend sind im Halbdunkeln vor allem der Bucksturm mit seinem Verließ und die Katakomben und Schießscharten der Vitischanze, in denen im 30jährigen Krieg die Musketiere den Feinden auflauerten. Unterstützt wird die Atmosphäre von dem Nachtwächter in historischem Gewand, seiner Hellebarde und seiner lebhaften Schilderung der historischen Sitten und Gebräuche, die nicht immer fein waren. Die Geschichte Osnabrücks hat wie die vieler anderer deutschen Städte ihre dunklen Seiten. Im 16. und 17. Jahrhundert starben während der Hexenverfolgung fast 300 Frauen aus allen Bevölkerungsschichten in drei Prozesswellen einen qualvollen Tod. Der erhalten gebliebene Bucksturm, einst Teil der Stadtbefestigung, diente als Folterkammer für die “hochnotpeinlichen Befragungen”. Ins Rampenlicht der Weltgeschichte trat Osnabrück im Jahre 1648 als Stadt des Westfälischen Friedens. Bereits seit 1641 versammelten sich hier die Diplomaten der protestantischen Mächte des damaligen Europas, während im nahen Münster die Repräsentanten der katholischen Seite tagten. Im Friedenssaal des historischen Rathauses sind noch heute die Porträts der “Pacificatores”, der Friedensstifter, zu besichtigen, die 1648 mit ihren Unterschriften den ersten großen europäischen Friedensvertrag besiegelten. Am 25. Oktober des gleichen Jahres wurde dann endlich von der Rathaustreppe nach dreißig Jahren Krieg der “Westfälische Friede” verkündet.

Einfach erreichen lässt sich Osnabrück für Wohnwagen- und Wohnmobilurlauber vom nördlich der Stadt gelegenen Campingplatz Alfsee in Rieste. Osnabrück ist jedoch nicht das einzige lohnende Ausflugsziel vom Alfsee aus. Nicht weit Richtung Südosten ist es zum Museum der Varusschlacht in Kalkriese. Nordwestlich von Rieste beginnt das Artland. Seine Fruchtbarkeit machte das Artland schon früh zur Kornkammer des Osnabrücker Fürstbistums. Bis heute haben sich mehrere hundert Hofanlagen und Einzelgebäude erhalten, die als typische Artländer Bauernhofarchitektur unter Denkmalschutz stehen. Diese Gegend lässt sich ideal mit dem Rad erkunden. Trotzdem macht der Campingplatz Alfsee seinen Gästen Ausflüge nicht gerade leicht. Zu umfangreich und abwechslungsreich ist das Freizeitangebot, das der Platz selber bietet. Da ist eine Kartbahn für Erwachsene, ein Autoland für Kinder und eine Indoor-Spielhalle, deren Größe die Bezeichnung „Halle“ auch verdient, zwei Wasserskianlagen – eine für Anfänger und eine für geübte Fahrer – mehrere Bars, Bistros und ein Restaurant, in dem weit über dem üblichen Campingplatzstandard gekocht wird. Wer will da noch weg?

Am Ende der Wohnmobilreise durch Niedersachsen bleibt eine Erkenntnis, die viele Deutschlandurlauber verbindet: Das eigene Land bietet mehr positive Überraschungen als man ihm gemeinhin zutraut. Es lohnt sich immer wieder die Landstriche jenseits der Autobahn zu erkunden. Niedersachsen mit seiner landschaftlichen, historischen und regionalen Vielfalt ist dafür das beste Beispiel.