Reiseberichte

Menton

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Vitamin C für's Auge

Text und Fotos Martin Häussermann

Während in Deutschland noch Schnee, Matsch und Kälte dominieren, genießen die Menschen an der französischen Côte d’Azur schon Sonne, Wärme – und Zitronen.

Zitronen sind gesund. Das weiß jedes Kind. Die gelben Früchte enthalten Vitamin C, das bekanntermaßen vor Erkältungen schützt. Zitronen sind aber auch ein echter Augenschmaus. Das wissen die Besucher des Zitronenfests in Menton. Dies ist einer der populärsten Events an der gesamten französischen Côte d’Azur. „Rund 200.000 Menschen besuchen jährlich unser Fest“, sagt Patricia Merzig, Sprecherin von Menton, nicht ohne Stolz.

Das Spektakel für sich ist schon eine Attraktion, doch für uns auch der willkommene Anlass, dem deutschen Schmuddelwetter zu entfliehen. Zu Hause mit Stiefeln an den Füßen und eingemummelt in die dicke Winterjacke gestartet, hat hier, Anfang März bereits die Sommergarderobe Saison. Rund 800 km Wegstrecke von Stuttgart entfernt wartet ein von Wind und Meeresströmungen gestaltetes einzigartiges Mikroklima. Es ermöglicht sogar den Anbau von Zitrusfrüchten, der in diesem Wärmeloch an der Côte Tradition hat.

Fest mit Tradition

Diese Gunst der Natur muss gefeiert werden. Im Jahr 1929 laden die Hoteliers der Stadt Menton erstmals zu einer kleinen Blumen- und Zitronenschau im Garten des Hotels Riviera. Die Geschäftsleute und Stadtväter wollen nicht nur gelbe Früchte genießen, sondern mit ihrer Hilfe auch die Gemeinde aufblühen lassen: Die Zitronen sollen den Tourismus ankurbeln. Schon ein Jahr später ziehen hübsche, junge Mädchen mit zitronengeschmückten Wagen durch die Stadt und bringen festlichen Schwung in die kleine Gartenschau, bis 1934 schließlich das ersten offizielle Zitronenfest aus der Taufe gehoben wird.

Diese Mischung aus Gartenschau und großem Umzug in der selbst ernannten „Stadt der Zitronen“ ist heute noch erfolgreich. Nur die Dimensionen haben sich verändert. Vom kleinen Hotelgarten ist das Fest längst in die Gärten Biovées umgezogen, eine große zweigeteilte Parkanlage entlang der Avenue Boyer. Dieser zentral gelegene Park lädt Einwohner und Besucher von Menton zum entspannten Flanieren ein – und während des Zitronenfestes auch zum Staunen. Was man aus Zitrusfrüchten nicht alles machen kann? Zum Beispiel eine Weltreise.

Besser mit Gummi

Wir starten in Indien. Das große Hauptportal des Festgeländes schmücken zwei überdimensionale Elefanten, komplett aus Orangen gebaut. Gleich dahinter, wir trauen unseren Augen nicht: Der Taj Mahal aus Orangen und Zitronen, dazwischen geflochtene Buchsbaumzweige als Kontrast. Dahinter steckt eine aufwendige Konstruktion mit einem Skelett aus Stahl und einem stabilen, ausgeformten Drahtgeflecht, auf dem die Früchte befestigt werden. Mit Gummibändern. Gelbe für die Zitronen, orangene für die Orangen. „Dadurch werden die Früchte geschont und halten länger,“ erläutert Alain Delaboudinière, Chef des Mentoner Gartenbauamtes. Während des Festes sind 80 Mitarbeiter Delaboudinières im Dauereinsatz und tauschen während der 15 Tage regelmäßig verdorbene Früchte gegen neue aus. Schließlich wollen die Südfranzosen ihre Gäste in eine andere Welt entführen.

Zitronenhandel

Auf dem Weg kommen wir am Stand von „La Citronaire“ vorbei, einem kleinen Handelsbetrieb, der alles verkauft, was mit Zitrusfrüchten zu tun hat: Zitronen und Orangen direkt vom Baum, Konfitüren, Honig mit Zitronenaroma, Lutscher für die Kinder und Likör für die Erwachsenen. „Für einen Liter Likör verarbeiten wir rund zehn Kilo Zitronen“, erläutert Verkäuferin Claudine. Sie reicht eine kleine Kostprobe der zähflüssigen gelben Spezialität im Plastikbecher über den Tresen. Köstlich, dieser Gaumenkitzler, den Claudine sowohl als Apéretif wie auch als Digestif unbedingt empfiehlt! Allerdings hat er auch Drehzahl: 18 Volumenprozent Alkohol. So verzichten wir auf eine weitere Probe des Orangenlikörs.

Von Schweden und Brasilianern

Am frühen Nachmittag strebt dieses Festival der Sinne seinem nächsten Höhepunkt entgegen. Die „Karnevals der Welt“ sind zu Gast beim Zitronenfest und sollen den Besuchern gehörig einheizen. Einen ersten Vorgeschmack gibt eine schwedische Gruppe. Jugendliche Tänzerinnen in knappen paillettenbesetzten Bikinis lassen die Federn ihres üppigen Kopfschmucks im Takt der begleitenden Rhytmusgruppe wippen. Die strohblonde Tambourinspielerin legt, begleitet von den schrillen Trillern aus der Pfeife des Tambourmajors ein grandioses Solo aufs Parkett und erntet dafür tosenden Applaus. Skandinavier mit brasilianischem Temperament, das trifft man auch nur beim Zitronenfest in Menton.

Die echten Brasilianerinnen tanzen später, beim Umzug. Der stellt sich an den drei Festivalsonntagen immer um 14.30 Uhr an der Promenade de Soleil, der eleganten Uferstraße auf, um dann mit viel Tamtam zwei Stunden lang durch die Straßen der Stadt zu ziehen. Wie beim Karneval am Rhein bilden Motivwagen ein wichtiges Element dieses Umzugs. Nur dass hier Charakteristisches aus den Gastländern dargestellt wird. Und selbstverständlich wird hier nur mit Zitronen und Orangen gearbeitet. Das Gastland Indien wird unter anderem durch eine Fahrradrikscha repräsentiert, für Holland steht ein gut fünf Meter langer Holzschuh, aus dem Tulpen wachsen und für Mexiko strahlt ein schnauzbärtiger Sombreroträger, der einem Kaktus zu entwachsen scheint. Alles Klischees, aber wunderschön gemacht.

Frühlingsgefühle

Mediterrane Leichtigkeit kennzeichnet nicht nur den Festzug, sondern die ganze Stadt Menton während des Zitronenfests. Und sie ergreift vom Besucher Besitz. Ein laues Lüftchen, das vom Meer her weht und Temperaturen um die 20 Grad laden zu einem beschaulichen Strandspaziergang ein. Schuhe aus, die Hosen hochgekrempelt und rein in den Sand. Zum Baden ist es zwar noch ein bisschen frisch, doch wenn die Wellen, die sanft am Strand auslaufen, die Beine umspülen, dann ist das ein willkommener Vorgeschmack auf den Frühling. Und macht Appetit auf das erste Eis des Jahres. Das genießen wir unter einem Sonnenschirm im Strandcafé, während die Möwen mit ihren Flugkünsten Eindruck schinden und kleine Kinder Steinchen ins Wasser schmeißen.

Auch nach Einbruch der Dämmerung wird es nur wenig kühler und durch die Gassen von Menton schlendern zufriedene, vergnügte Menschen. Eine gute Zeit für Stéphane, den Straßenkünstler, der mit Keulen und Bällen jongliert. Für die Kamera nimmt er auch kurzerhand fünf Zitronen und lässt sie schwungvoll durch die Luft fliegen. Die Zuschauer applaudieren, werfen Euros – nicht nur Münzen – in seinen Hut und Stéphane grinst vom einen Ohr zum anderen. Sauer macht lustig: Nirgendwo wird das so offensichtlich wie beim Zitronenfest in Menton.